Packard Plant Detroit – ein Blick in Detroits berühmteste Fabrik Ruine

Die Packard Plant Detroit gilt als die berühmteste und wohl berüchtigste Fabrik Ruine der Motor City.

Die Situation war abgefahren. Ich stand irgendwo in einem „High Red District“ in Detroit, vor mir der Pick Up des Security Officers mit laufendem Motor, auf dem Beifahrersitz John, der 55 jährige Ex-Soldat, der mir gerade eine Führung durch Packard Plant angeboten hatte. Im Rücken die riesigen, leeren Fabrikhallen, die seit 1965 kein Auto mehr ausgespuckt hatten, vor mir das ganz offensichtlich ums Überleben kämpfende Packard Motel, das dank seiner Lage die perfekte Kulisse für einen Gruselstreifen bot und dessen Angesteller mich vor wenigen Minuten noch über die aktuelle Mordstatistik auf dem Gelände aufgeklärt hatte. Irgendwo um uns herum kurvte ein weißer Van, den die Security Jungs permanent im Blick hatten.

Einblick in die Packard Plant Detroit

Ein paar Tipps für einen ‚Besuch‘ hier vorweg:

Packard Motel Detroit

Also los, sagte ich mir. Du willst doch da rein! Nimm das Angebot an!

„Ok, John. Let’s go in!“ und schon stieg er aus dem Pick Up aus und in meinen Wagen ein.

So kam es, dass ich einem mir bis vor wenigen Sekunden völlig unbekannten Mann Mitte 50 mein tiefstes Vertrauen schenkte. John würde mich nun in die seit 1958 leerstehende ehemalige Luxusautofabrik Packard Plant begleiten. Allein hätten mich keine zehn Pferde tiefer in dieses Areal hinein bekommen, über das mir allein in den letzten 10 Minuten 3 Menschen erzählt hatten, dass erst gestern dort eine männliche Leiche gefunden worden war. Genickbruch.

Nebenbei erfuhr ich, dass die Securities, wie der junge Kerl im Pick Up, sich weigern würden, auszusteigen und das Gelände zu betreten. Oh toll.

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Aber John strahlte eine Sicherheit aus, die mich (fast) keine Sekunde an meinem Vorhaben zweifeln ließ. Als wir losfuhren wollte ich wissen, wer er eigentlich sei. Seinen Stories zufolge war der Ex-Soldat früher in Heidelberg stationiert, mehrmals für die USA im Krieg in Afghanistan und im Irak. Mit 55 Jahren ging er in Rente. Seither ist das Geld extrem knapp.

Aktuell arbeitet er für den neuen Besitzer der alten Fabrik, Fernando Palazuelo. Der erwarb das Gelände Ende letzten Jahres für etwas über 400.000 $ – ein Schnäppchen wie er sagt – um es neu aufzubauen und in den nächsten 15 Jahren wieder zum Leben zu erwecken. Und wo einst Autos gebaut wurden, dorthin sollen offenbar wieder Autos zurückkehren. Palazuelo verpaßte ich nur sehr knapp! Zwei Tage vor mir hatte der Spanier seinen neuen Besitz in Detroit besichtigt, nachdem er auf der Automesse Naias versucht hatte, Autohersteller für das Projekt zu gewinnen. Ein sehr schöner Artikel dazu in der Detroit Free Press.

Johns Job ist es also, das riesige Areal der ehemaligen Packard Plant im Blick zu haben. Kriminelle und die sogenannten ‚Scrappers‘ zu vertreiben, die Stahlträger der Fabrik absägen und verticken, weswegen immer mehr Dächer und Mauern hier einstürzen. Er weiß, was auf dem Gelände abgeht und ich glaubte ihm aufs Wort.

John kennt jeden Meter hier. Er lotste mich auf einen großen Platz vor den Werkshallen und parkte den Wagen inmitten von Trümmern und Schutthaufen. Der GLK leuchtete feuerrot in der Sonne und war daher nicht zu übersehen. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei, denn in ihm lagerten all meine Klamotten sowie mein Equipment. John stieg aus. Und mir fiel auf, dass wir den Wagen mit der Schnauze zum Ausgang geparkt hatten. Vielleicht für den Fall, dass…?

Packard Plant in Detroit

„Do you think the car is safe here? I mean, we will see the car, won’t we?“ fragte ich mit leicht unentspannt klingender Stimme. Ich war unsicher, ob ich nun erleichtert sein sollte, dass es nicht mein Wagen war, oder eher Schiss haben sollte WEIL es nicht mein Wagen war.

„No. We won’t see the car. It will be fine. It will be fine. He will keep an eye on it.“

He?! Who? Wer? Und tatsächlich. Nur wenige Meter neben uns stand plötzlich ein Mann. Er beobachtete, was wir da trieben und nickte John zu. Später erfuhr ich, dass er ein kleines eigenes Unternehmen in den Hallen aufgezogen hatte. Ich versuchte im dunkeln hinter ihm etwas zu erkennen, sah aber nur schwarz.

John war schon längst auf dem Weg zum Eingang der Fabrikhalle. Ich hopste hinterher. Drehte mich um und hopste wieder zurück zum Auto. Nicht ohne meinen Pass, dachte ich. Wenn schon jemand das Auto aufbricht und alles mitnimmt, dann kann ich zumindest trotzdem am Nachmittag nach Hause fliegen. Was einem da durch den Kopf geht… Ich hopste wieder zurück zu John über Pfützen, Schutt, Geröll und Zeug. Los ging es.

Detroit Packard Plant

detroit packard plant Fabrikruine

Reizüberflutet beschreibt recht gut den Zustand in dem ich mich befand. Alarmsignale auf höchste Empfindlichkeit, iPhone in der einen, Diktiergerät in der anderen Hand. Zuhören. Mitlaufen. Nicht stolpern. Genießen. Gruseln. Läuft das Diktiergerät eigentlich? FUCK das Bild ist überbelichtet. HALT! Können wir hier mal kurz stehen bleiben? Es dauerte ein wenig, bis ich mich eingegroovt hatte. John riss mich aus meinem Mantra, mich ständig beruhigen zu wollen.

„A few months ago, they made a film here!“ erzählt John, während wir eine Betontreppe nach der anderen hinaufsteigen.

„Oh nice. What kind of film?“ Ich wusste zufällig, dass Szenen für ‚Transformers‘ hier gedreht wurden.

„A Horrormovie!“

Ich blieb wie angewurzelt stehen. Musste dann lachen, aber nein, das war kein Scherz. Warum auch. Das ganze Gelände barg perfekte Bedingungen für so einen Film. In Etage drei verließen wir die Treppen, die kein sicherndes Geländer mehr hatten, und betraten einen riesigen, zugigen Raum.

Inside Packard Plant

„Over there is one of those huge elevators they had put the cars in“ sagte John und zeigte auf ein großes Loch in einer Wand neben mir. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es hier zugegangen sein muss zu den Hochzeiten der Automobilproduktion.

„They made one of the best cars ever made in – be careful there – the USA. Everything handmade.“ so John.

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Detroit packard plant

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Detroir Packard Plant

Erst langsam nahm ich wahr, wo ich mich befand. Die Szenerie war gespenstisch. Von der Decke lief das Wasser in Strömen, der Boden, der teilweise aus altem Holz bestand, war komplett durchgeweicht, zentimeterhoch spross ‚Fell‘ aus dem Holz.

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Während wir langsam durch eine Überführung gingen, machte John seinem Unmut über die sogenannten Scrapper Luft. Er zeigte auf einen großen, fies abgesägten scharfen Stumpf, der vor kurzem noch ein Stahlträger war. Viel zu klauen gab es hier nicht mehr, aber das Ding abzusägen muss richtig harte Arbeit gewesen sein.

Von hier oben hatten wir schon eine wahnsinnige Aussicht über das Areal und ich konnte meinen Wagen wieder sehen, dem es offenkundig gut ging. Während wir da runter schauten, erzählte er mir schon von der Leiche, die er auf dem Gelände gefunden hatte. Es handelte sich um einen jungen Mann, 21 Jahre alt, der einen Genickbruch erlitten hatte und hier von den Tätern ‚entsorgt‘ worden war. Als John ihn fand, war er zwei Tage tot.

„You know, I never had trouble inside the building. I had trouble with the young guys in vans out there like the white one we saw. Ich got hit hard on the head four times. But they left me lying on the ground and did not call an Ambulance. The most dangerous thing are the small paths that go around the buildings. Criminals use them to throw away goods they can not get rid of in Downtown.“

Detroit packard Plant

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Inside Packard Plant

Inside Packard Plant

Trauriger Alltag. Von einer weiteren Tragödie erzählte er mir wohlweislich erst, nachdem wir Packards Plant verlassen hatten. Denn auch die Leiche eines jungen Mädchens wurde hier gefunden. Einen Tag bevor ich hier aufschlug.

Ich möchte wissen, für wie ‚gefährlich‘ er Detroit hält.

„Stay out of the bad area. Just stay out of the  bad area. This is a bad area. Let’s go down again.“

Wir stiegen die Treppen wieder hinab, setzten uns in den Wagen und fuhren wenige Meter bis wir vor einem Gebüsch hielten. John ging durch einen Zaun, in den jemand ein riesiges Loch geschnitten hatte, in ein anderes Fabrikgebäude. Er wollte mir die Gaffiti zeigen, von der er so begeistert ist. Meiner Recherche zufolge gab es hier allein auf der Packard Plant einmal 3 Banksy Werke hier, die aber alle nach und nach abmontiert wurden. Ein Coup wurde auf Video festgehalten und Detroit fragte sich, ob das Kunstwerk ‚gestohlen oder gerettet wurde‘. Und nein, einen ROA habe ich leider nicht gefunden. John zeigte mir stattdessen diesen Gorilla und auf dem Rückweg wohl eines der letzten alten Überbleibsel der Fabrik: ein Wagenrad aus Holz, mit dem die neugebauten Fahrzeuge aus dem Werk gezogen worden waren.

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Streetart Detroit Packard Plant

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Wir gingen zurück zum Wagen und fuhren in Richtung Pick Up. Es war eine spannende Tour, und ich wäre happy gewesen mit dem was ich gesehen hatte. Aus dem Nichts heraus will John aber wissen, ob ich das Heidelberg Project sehen möchte, was sich zu einer von Detroits beliebtesten Sehenswürdigkeiten gemacht hat. Deutlich mehr abet steckt dahinter.

„Is it close by?“

„Oh yes, Heidelberg Street is right around the corner. 2 minutes by car from here.“

Klar, dass wir hinfahren! Das Heidelberg Project ist eine Art Outdoor Installation des Künstlers Tyree Guyton, entstanden als politischer Protest vor gut 25 Jahren. Ich hatte keine Ahnung was genau mich hier erwartet und brauchte eine Zeit lang, all das aufzunehmen. Wieder parkten wir das Auto und gingen zu Fuß weiter. Nicht verborgen bleibt mir aber Johns permanenter Blick zum Auto. Außer uns und einer lustigen Katze hielt sich auf den ersten Blick niemand hier auf.

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Was ich sehe sind dutzende leerstehende und bunt geschmückte Häuser. Die Straßen sind mit bunten Punkten gemalt, pinkfarbene halbe Autos stecken zur Hälfte im Gras. Ein grünes Haus ist komplett mit Kuscheltieren behangen, ein anderes mit Turnschuhen. In zig Jahren von überall her zusammengesammelt. Ich checke nicht, was abgeht und habe ein ungutes Gefühl im Magen, mache vielleicht daher die beschissensten Fotos meines Lebens. Das Ausmaß des Heidelberg Projektes überträgt sich hier leider nicht. Zwischen den vielen Kunst-Häusern entdeckte ich mehrere bis auf die Grundmauern abgebrannte Ruinen. Brandstiftung. Wie so oft in Detroit.

„This happened in the last days. They burnt it down“ sagt John. Die Feuerwehr wäre gar nicht erst gekommen, sondern hätte das Haus abbrennen lassen. Allein im letzten Jahr gingen im Heidelberg Project 5 Häuser in Flammen auf.

Plötzlich sahen wir einen Mann an einem braunen Pick Up stehen. Wie sich herausstellen sollte, der Künstler selbst. Sein Wagen ist vollgepackt mit einer Mischung aus Flohmarktutensilien und Zeug, dass er vielleicht aus leeren Häusern holt? Fotografieren darf ich ihn nicht. Aber als er John ihn auf das vor kurzem abgebrannte Haus anspricht, reagierte er unfassbar gelassen.

„You know, it is ok. I mean. God is here. We will go on.“

John schrieb ihm seine Nummer auf und reichte sie ihm.

„If you are in any trouble you can call me anytime!“

„Thanks, Man. I have my people for that but you can never have enough security around here.“

Tyrees Worte hallten noch nach als wir uns wieder in den Wagen setzten und zrück auf den Parkplatz an der Packard Plant fuhren, auf dem Johns Pick Up wartete. Auf dem Weg zurück erzählte er mir, dass er zur Zeit in einem Zimmer im Haus der 70jährigen Mutter eines Freundes wohnen würde. Seine Frau habe er inflagranti erwischt und sei so überstürzt und stolz gegangen, dass er alles zurückgelassen habe. Wieviel davon der Wahrheit entspricht kann ich natürlich nicht sagen. Aber für mich klingt es wie eine nicht allzu abwegige, alltägliche Detroiter Lebensgeschichte.

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Ich hoffte nur, genug Bargeld dabei zu haben um ihn angemessen zu ‚bezahlen‘. Ich fand einen 20 Dollar Schein im Portemonnaie, und reichte ihn rüber, was ihn offenbar freute. Beschloss dann, dass ich bis zum Abflug nur ein paar Dollar benötigen würde und gab ihm dann, was noch an ausländischer Währung im Portemonnaie war. Klar war für mich, dass er das Geld deutlich dringender benötigen würde.

Update Mai 2015

Ich habe ein sehr gutes Drohnen Video gefunde, das die gewaltige Größe der Packard Plant in Detroit rüberbringt!

Weitere interessante Informationen rund um die Packard Plant Detroit

13 Kommentare

  1. Cornelia Lohs

    What an experience and what a treat!! Tolle Fotos und spannender Bericht!! Wir sind mittlerweile im eisigen Chicago. In der Früh entfliehen wir dem kalten Midwest-Winter für ein paar Tage und fliegen nach Guanajuato in Mexiko. Vielleicht laufen wir uns im März ja bei der ITB über den Weg. Herzliche Grüße, Cornelia

    1. Heike Kaufhold

      @Cornelia – CHICAGO! Da muss es doch auch eisig sein! Hab die Schneebilder aus NYC gesehen! Viel Spaß und JA ich bin auf der ITB von Dienstag bis Samstag Morgen! Das wäre fein!

  2. Cornelia Lohs

    Bin auch von Dienstag bis Samstag auf der ITB. Verglichen mit Chicago ist Michigan mit seinen nur -10 Grad warm! Wir sind zwischen Indianapolis und Illinois auf dem Expressway in einen ganz grässlichen Schneesturm geraten. Die Fahrt war eine einzige Rutschpartie.

  3. Marcel

    Man man man Heike! Du hast aber auch Mut. Oder ist es Leichtsinn? Einfach mal mitgehen und gucken, was passiert. Und was hätte alles passieren können. Schön, dass der Mann gleich dein Vertrauen hatte, aber gehen so nicht auch die Leute vor, denen man nicht vertrauen sollte?
    Wie dem auch so, es ist ja mal wieder alles gut gegangen. Du hast ein einmaliges Erlebnis gehabt und uns eine tolle spannende Geschichte gegeben mit interessanten Fotos.
    Viele Grüße aus Hamburg (hier sind nun auch die ersten Schneeflocken runter gekommen)
    Marcel

  4. Luiza

    Sehr aufregend! Neulich noch kam eine Sendung über Detroit und deren Umstände.
    Ob nun Mut oder Leichtsinnigkeit: ich hätte es auch gemacht, toller Beitrag!
    Feinen Start in die neue Woche!

    1. Heike Kaufhold

      @Luiza – Du meinst sicher Galileo? Habe ich verpasst. Muss ich mal sehen ob ich es in der Mediathek finde. Danke für deinen Kommentar!

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