Balat und Fener – Streifzug durch ein authentisches Istanbul abseits der Touristenmassen

Authentisch. Authentisch und hoffnungslos ehrlich. So würde ich die beiden Istanbuler Stadtviertel Balat und Fener beschreiben, die mir bei meiner letzten Reise nach Istanbul das Herz gestohlen haben, deren Grenzen für mich aber fließend waren.

Auch die Taxifahrer Istanbuls sind authentisch. Echte Charaktere. Sie zünden sich im größten Verkehrschaos eine Kippe an weil sie nicht länger warten können oder schimpfen gerne mal drauf los, wenn man nicht eine genaue Adresse für die Eingabe in Google Maps parat hat. Einen von ihnen bitte ich, mich nach Balat zu fahren, ein Istanbuler Viertel mit wahnsinnig viel Historie, vielen bunten Häusern und sehr wenig Touristen. Eine spannende Kombination.

Der Taxifahrer läßt mich wie gewünscht an einer Ecke Balats raus und dann stehe ich da: planlos und noch vollkommen  orientierungslos. Um ehrlich zu sein hatte mich wieder mal ein auf Instagram entdecktes Foto in diese Ecke getrieben und laut Google Maps war ich genau richtig hier. Grob zumindest. Vor mir liegt das durch viele steile Straßen geprägte Balat, allerdings kann ich von der extrem vielbefahrenen Straße aus keinen ‚Eingang‘ erkennen. Hier reiht sich ein Haus an ein anderes, zusammen betrachtet wirken sie fast wie eine schützende Festung aus heruntergekommenen Bauten, die Eindringlinge abhält.

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Doch dann hilft mir der Besitzer eines Okulele Geschäftes weiter, der mich in einen Imbiss führt, dessen Besitzer ein wenig englisch versteht und spricht.

„I show you the secret entrance to Balat!“

Und so gehen wir durch den Imbiss hindurch und 2 Treppen hinauf und stehen plötzlich mitten auf einer kleinen Straße in Balat. Natürlich gibt es auch andere, weniger versteckte Zugäng in diesen Irrgarten aus herrlichen Gassen. Kein Mensch nimmt von meiner Anwesenheit und so kann ich stundenlang herumstreunern während ich die unzähligen ganzen Eindrücke auf mich einprasseln lassen. Ich bin das vierte Mal in Istanbul, die Sehenswürdigkeiten interessieren mich auf dieser Reise nicht. Ich möchte dahin, wo die Istanbuler Istanbuler sind. Unverstellt und unbeeinflusst von all den Touristen. Ich möchte ein Stück Alltag beobachten, einen Blick ‚hinter die Kulissen‘ einer pulsierenden Millionenmetropole werfen. Und das geht in Balar wunderbar.

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Ich treffe auf ein junges Mädchen, das die Straße vor ihrem Haus fegt. Sie hat ein Lächeln auf den Lippen und macht Späße mit ihrer kleinen Schwester, die einen ungewöhnlichen aber wirklich doch sehr praktischen Platz auf dieser Fensterbank ‚gefunden‘ hat. Sie strahlt mich an und ich hole mir von dem älteren Mädchen das OK, ein Foto zu machen. Auf diese Weise kann die Kleine nicht mal eben in einem unbeobachteten Moment die steile Straße hinunterfallen.

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Balat_Istanbul-40Überall in den Gässchen hängt Wäsche an der Leine, zwischen all den einsturzgefährdeten Gebäuden buhlen pastellfarbene Hauswände um Aufmerksamkeit. Armut ist nicht zu übersehen, dennoch wirkt Balat zufrieden mit sich. Ein Viertel, dessen Schönheit sich nicht an perfekten Fassaden messen läßt. Kinder spielen auf der Straßen Fußball. Autos fahren hier oben kaum. Von den weiter oben liegenden Gassen öffnet sich ein ungewöhnlicher Blick auf Istanbul. Und vom Trubel der Touristen bleibt Balat versxchont.

Die Schule ist aus. Ich beobachte Mütter, die ihre Kinder aus der Schule abholen. Kinder, die alleine nach Hause laufen. Katzen, die aus Mülltonnen geschossen kommen als ich mich ihnen nähere und nur knapp an einem Herzinfarkt vorbeischramme.

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Stundenlang erkunde ich die kleinen Straßen, bis mich der Kaffeedurst in ein Café treibt. Eher durch Zufall stoße ich auf den wirklich belebten Teil des Viertels, indem sich zwischen vielen kleinen Geschäften einige tolle Bars und Cafés verstecken! Allein hier lohnt es sich, einen Tag zu verbringen. Ich setze mich ins ‚Coffee Department‘ und bekomme einen der leckersten Kaffees, die ich je getrunken habe.

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Dieses Viertel, das nur wenige Kilometer vom Topkapi Palast oder der Hagia Sophia entfernt liegt, schlummert in einem Dornröschenschlaf. Viele Designer, Künstler und andere Kreative haben hier einen Platz gefunden, der noch bezahlbar ist. Dennoch ist es ein schmaler Grat zwischen Bewunderung und Schrecken angesichts des Verfalls.

Wer glaubt, ganz Istanbul sei voll mit Menschen und überlaufen – der irrt. In Balat kann man ganz für sich allein sein obwohl 5 Kilometer weiter ein Reisebus neben dem nächsten steht.

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Hilfreiche Tipps für einen Besuch von Fener und Balat:

  • in diesem Teil Istanbuls spricht so gut wie niemand Englisch, aber eine Verständigung mit Händen, Füßen und Handybildern hat mir super weitergeholfen
  • stellt euch darauf ein, dass ihr euch in den steilen Gassen in Balat verlaufen werdet! Und das ist auch gut so. Wenn ihr nicht mehr weiter wisst, einfach den Berg runter treiben lassen, dann findet ihr einen Ausweg
  • plant genügend Zeit ein. Ein Besuch in Balat ist überhaupt nicht geeignet wenn ihr mittags einen Flieger bekommen müsst. Und eigentlich auch nicht, wenn der Flieger abends geht.
  • die Ahrida Synagoge – ein prächtiges Bauwerk, das über dem Stadtteil thront und für Besucher nach Absprache mit dem Rabbi geöffnet ist
  • insgesamt finden sich ganz oben in Balat drei Synagogen und ein Park, von dem aus man einen fantastischen Blick auf das Goldene Horn haben muss
  • Café Tipp 1: das Coffee Department! Super netter Laden mit ein paar Sitzmöglichkeiten draußen
  • Café Tipp 2: das Maison Balat. Ein super niedlicher Laden, der zum Kaffee antike Möbel und Einrichtungsgegenstände verkauft.

Weitere Reiseberichte aus Istanbul von Köln Format findet ihr hier.

14 Kommentare

  1. Ellen

    Liebe Heike
    In den untouristischen Vierteln zeigt sich doch immer das echte Gesicht einer Stadt. Danke für diesen spannenden Einblick. Das macht Lust die Koffer zu packen und zu entdecken!
    Lieber Gruss,
    Ellen

  2. Antje

    Liebe Heike,

    dein Bericht machen richtig Lust darauf, sofort die Koffer zu packen und Istanbul zu erkunden. Die Bilder sind fantastisch – was für tolle Ecken es in dem Viertel gibt. Und gleich so viele davon! Großartig finde ich das Foto mit Mann, Hund, Katze und Taube – würde mal sagen, du hast exakt im richtigen Moment auf den Auslöser gedrückt 🙂

    LG Antje

    1. Heike Kaufhold

      Hallo Antje,

      toll, dass du die Taube auch entdeckt hast! <3 Um ehrlich zu sein, habe ich den absolut besten Moment verpasst, weil ich zu spät geschnallt habe, dass Dauerfeuer sich lohnen würde. Die Katze hat sich noch umgedreht und dem Hund ordentlich Konter gegeben haha 😀

  3. Götz Lefeber

    Ich habe über 15 Jahre in Balat gelebt. Der Stadtteil leidet sehr stark an der Gentrifizierung. Durch diese Künstler ist er für die ursprüngliche Bevölkerung nicht mehr bezahlbar. Die Stadtregierung plant den Stadtteil komplett zu sanieren. Es besteht natürlich Widerstand dagegen. Ich vermisse auch, dass keine der vielen Kirchen erwähnt wurde. Und kein normaler Mensch, nicht jüdischen Glaubens, kommt in eine der Synagogen dort. Das steht in irgendeinem Reiseführer, ist aber falsch.

    In diesen „netten“ Cafes sitzt kein Mensch aus Balat. Ich war vor 2 Wochen dort, es war recht voll, gerade auch mit „Touristen“ aus Istanbul. „Man wird langsam mutig und schaut sich das Viertel an.“ Es war vor noch nicht vielen Jahren ein „No-Go“ Viertel. Ein wenig Hintergrund hätte gut getan.

    Literatur über das Viertel gibt es natürlich nur in Türkisch.

    1. Heike Kaufhold

      Danke für den Kommentar. Gemeckert wird aber immer gern und schnell. Ich verstehe aber das Problem nicht. Es ist lediglich ein Streifzug durch ein Stadtviertel. Was stört daran? Von den ‚vielen Kirchen‘ habe ich keine Fotos, und für mich ist das auch kein Grund hinzugehen. Türkische Reiseveranstalter mögen an diese Themen anders herangehen. 😉 Wo haben Sie denn etwas über Ihr altes Viertel geschrieben?

  4. vielweib

    Ich hab Deine Bilder schon während der Reise verfolgt. Ein schmaler Grat zwischen Bewunderung und Schrecken, schreibst Du. Das geht mir bei ähnlichen Erlebnissen genauso – auch wenn bei mir ehrlich gesagt die Faszination überwiegt. Ich hab mich einmal in Turin verlaufen und das war ganz ehrlich der Teil der Reise, der mir bis heute noch am besten und eindrucksvollsten in Erinnerung geblieben ist. Fernab von Tourismusströmen war ich in mitten einer ganz anderen Welt. <3

  5. Hedwig

    Schöner Bericht! Das Bauwerk, das über dem Stadtteil thront, ist allerdings nicht die Ahrida Synagoge, sondern eine griechische Grundschule.

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