Die Suche nach Eminems Elternhaus sollte heute meinen Tag bestimmen. Es war Tag 1 nach meiner etwas komplizierteren Einreise in die USA, ist die Geschichte von der Tourismus-Gefahr schon eine kleine Anekdote geworden, die ich jedem erzähle, der mich fragt, was ich hier eigentlich mache. Sie sorgt immer für Lacher.
Ich sitze gerade in meinem Apartment, das eher ein kleines Häuschen ist, im historischen Viertel Corktown an der Michigan Avenue. In der letzten Nacht fühlte sich das noch ziemlich unheimlich an. Zumal – zum Glück fällt mir das erst heute auf – die Leute, die in die benachbarte Bar wollen, gerne mal an meiner Eingangstür rütteln, da die andere gut getarnt ist. Da saß ich das ein oder andere Mal senkrecht im Bett. Heute Morgen war ich ein wenig beschämt, als mein Blick auf den langen, hölzernen Kochlöffel fiel, den ich neben das Bett gelegt hatte. Nun ja.
Schaue ich aus dem Fenster an meinem langen Esstisch, sehe ich die Michigan Central Train Station, das ehemals höchste Bahnhofsgebäude der Welt. Seit Jahrzehnten verlassen, ist es aber nun nicht minder spektakulär. Zumal ich jetzt im Dunkeln sehe, dass in verschiedenen kaputten Fenstern Leuchtsterne hängen.
Draußen ist es arschkalt und ich bin extrem dankbar für meine gut funktionierende Heizung in diesen alten Gemäuern. Eine Notiz, die an der Tür hängt, die zum Dach führt, bitte mich, nicht darauf zu klettern, da es dem Haus nicht guttun würde. Vom nächtlichen Schneesturm war heute Morgen zwar nicht mehr viel übrig, aber bei Temperaturen von 11 Grad Fahrenheit (ca. –12 °C) werden Spaziergänge auf das allernötigste beschränkt.
Bis gerade hatte ich keine Ahnung, was 11 Grad F umgerechnet eigentlich sind, aber ja, –11 Grad Celsius ist wirklich arschkalt. Dazu der heftige Wind macht Windchillfaktor -20 locker.
Hilfe bei der Suche nach Eminems Elternhaus
Verabredet war ich heute zum Kaffee mit Andy. Andy kannte ich bisher nur via Instagram. Aber dass Instagram Menschen zusammenbringt, ist mir ja schon lange klar und so war unser Zusammentreffen genauso wie ich es erhofft hatte. Unkompliziert und interessant. Andy traf ich in einem kleinen Café und Artspace, dem Trinosophes, das in der Stadt sehr angesagt ist zurzeit. Dort erzählte mir von ’seinem Detroit‘, stieg später auf den Beifahrersitz und machte eine Stadtführung mit mir.
Ich erfuhr, dass sein Großvater Feuerwehrmann in Detroit war, seine Großmutter ihn als Kind häufig mit in die Oper nach Downtown nahm. Sonst wäre er wohl damals kaum ins Zentrum gekommen, sagt er. Er versucht mir zu erklären, was die verschiedenen Stadtviertel ausmacht. Wir fahren durch das gut betuchte Palmer Woods, in dem viele kleine Villen stehen und das von einer privaten Security bewacht wird.
Kurze Zeit später fahren wir über die 8 Mile Road, eine ewig lange und glanzlose Straße, gesäumt von Stripclubs, Prostituierten und Junkies, berühmt geworden dank Eminem, und biegen ab. Andy zeigt mir sein Elternhaus, das heute zwar noch steht, aber verlassen ist. Fenster und Tür sind mit Brettern zugeschlagen, für einen Moment ist Andy in sich gekehrt.
„Ich gehe eigentlich nicht gerne hierher. Mich bedrückt das, aber ich erinnere mich auch an viele schöne Momente in der Kindheit.“
Wir bleiben nicht lange, rutschen über das Eis zurück ins Auto. Währenddessen erzählt er mir, dass auch Eminems Elternhaus nur ein paar Häuser entfernt steht, bzw. stand. Es brannte vor wenigen Wochen komplett ab. Ich bitte ihn, mit mir hinzufahren.
Gleichzeitig versucht Andy mir zu erklären, warum er glaubt, dass Eminem sich immer von dem Film distanziert habe. Denn die Vorstadthölle, als die diese Ecke, in der Eminem aufwuchs, im Film verkauft wird, war früher einfach keine. Kinder spielten auf der Straße, fuhren mit den Rädern zu Freunden.
Na ja. Ich habe keinen Bezug zu Eminem und den Film nicht einmal gesehen, aber Eminems Elternhaus wollte ich dann doch gerne sehen. Dass es dort gebrannt hatte, kurz nachdem es für einen Preis ab 1 $ zum Verkauf angeboten worden war, wussten wir. Auch, dass die Stadt die Überreste beseitigt hatte. Aber dass nichts mehr davon zu sehen war, und nur ein Loch in der Häuserreihe klaffte, in der es bis vor kurzem hier in 19946 Dresden St. stand, hat mich doch überrascht. Wie es unter dem Schnee aussieht, wissen wir natürlich nicht. Nur der Baum zeugt noch davon, dass wir an der richtigen Stelle stehen.
Andy muss zur Arbeit, also treten wir den Rückweg an. Ich erfahre noch, dass die Autoversicherung hier sehr teuer ist, weil es sehr häufig vorkommt, dass Scheiben eingeschlagen oder Autos geklaut werden. Polizei käme in so einem Fall allerdings nicht, dafür gäbe es in Detroit keine Kapazitäten.
Ein Beispiel: der neue Bürgermeister der Stadt gab in einer Rede gerade heute Abend an, dass seine Autoversicherung mit dem Umzug hierher auf 6000 Dollar pro Jahr verdoppelte. Auch das will er, neben vielen anderen, wichtigeren Punkten, ändern. Wer an den Informationen interessiert ist, dem empfehle ich diesen Artikel der Deadline Detroit.
Aber Autos seien in der Motorcity das wichtigste.
„Wenn du keines hast, bist du nichts“, sagt Andy. „So ist das hier einfach. Öffentliche Verkehrsmittel werden in dieser Stadt einfach nicht angenommen.“
Da wundere ich mich, wieso dann die bankrotte Stadt eine mehrere Kilometer lange Straßenbahn, das ’new light-rail System‘ auf der Woodward Avenue bauen wird, was nach einem absurden Projekt klingt.
Wieder lerne ich, dass nicht Stadt die hohen Kosten tragen wird, sondern die an der Straße liegenden Firmen. Das erklärt, warum für solche Projekte Geld da ist, obwohl große Teile der Stadt brach liegen und auch Polizisten sich um ihre Rente sorgen müssen. Die Bauarbeiten sollen bald beginnen und mehrere Jahre dauern.
Die Stadt Detroit hat mich komplett umgehauen. Weshalb ich binnen mehrere Jahre mehrfach viel Zeit in der Motorcity verbracht habe und auch mit den Kindern anreiste, um dort Urlaub zu machen. Hier findet ihr alle Artikel zu meinem Aufenthalt in Detroit. Und hier meinen Reisebericht über einen Urlaub in Detroit mit Kind.
Vielen lieben Dank für die Eindrücke liebe Heike und friere Dir nicht den Po ab. Es ist immer wieder schön zu erfahren was Menschen erleben, persönliches und Nahes und vor allen in einer Stadt mit soviel Geschichte, die aber einfach vergessen wird.
Klasse das Du vor Ort bist.
LG sendet Dir Dani
Vielen Dank, Dani!
Nice! Ich bin gespannt wie es weiter geht, meinste der Kochlöffel hätte dir geholfen? 😉
Viel Spaß noch da in Detroit. Die Fotos sind jetzt schon großartig!
Haha. Ich bin froh, es nicht ausprobiert haben zu müssen wenn ich ehrlich bin!
Super Eintrag, richtig toll. Danke dafür!
Danke! <3
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