‚Wer in Detroit kein Auto hat, ist aufgeschmissen‘ heißt es. Zum Glück bringen wir unser eigenes mit. Denn Detroit ist das Ziel unseres Roadtrips, den wir in Houston, Texas, begonnen hatten. Einer Stadtbesichtigung in ‚The D‘ stand also nichts im Wege. Ich war entsetzlich neugierig auf diese Stadt, von der ich vor Abflug so viele Klischees gehört hatte. Unter anderem das:
„Einst wurden hier überproportional viele Autos gebaut, heute werden hier überproportional viele Menschen erschossen. Jeder Dritte kommt kommt ohne Lebensmittelmarken nicht über die Runden, etwa ebenso viele können angeblich nicht lesen und schreiben; das Risiko, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, soll hier bis zu fünfmal so hoch sein wie im Rest des Landes.“
Zitat aus Rasende Ruinen von Katja Kullmann (Leseempfehlung!)
Unterhielt ich mich mit jemandem über Detroit, hörte ich meist Worte wie „Moloch“ Gefährlich!“ „Ruinen“ und „kurz vor dem Abriss“. War es wirklich so schlimm? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass in einer nordamerikanischen Stadt tausende Häuser und ehemals prunkvolle Villen vor sich hin zerfallen, Hektargroße Fabrikgelände brach liegen. Jetzt weiß ich es besser.
Vom Highway kommend erreichen wir Downtown Detroit sehr schnell. Ich war vorgewarnt, dass wir schon auf dem Weg dorthin an vielen, leerstehenden Gebäuden vorbeifahren würden. Als extrem ‚krass‘ ist mir das allerdings nicht aufgefallen. Aber angesichts abgebrannter Häuser und verwilderter Fabrikhallen wird klar, was in der Stadt los sein muss. Sehr wohl aufgefallen dagegen ist mir die Mischung aus prägnanter Skyline, Backsteingebäuden und großflächig angelegten, teils leergefegten Parkplätzen.
Für mich sah alles typisch amerikanisch aus. Unser Hotel, das Westin Book Cadillac, stand bis vor wenigen Jahren noch komplett leer und zerfiel vor sich hin, bis es im Jahre 2008 nach Investitionen von über 200 Millionen Dollar wieder eröffnet wurde. Nun ist es DAS Luxushotel am Platz. Viele vergleichbare gibt zumindest in der Nähe zur Cobo Hall, dem Ausstellungsgelände der NAIAS, nicht.
Vom Verfall Detroits ist in Downtown nicht allzu viel zu spüren. Zu Fuß laufen wir am Morgen nach unserer Ankunft durch die Straßen während unser Guide Jeanette von DHive Detroit uns viele Informationen mit auf den Weg gibt. Ich versuche zu fotografieren mit Nikon und iPhone, und dabei zuzuhören. Nicht immer gelingt mir bei dem flotten Tempo und den vielen Eindrücken alles gleichzeitig. Schon nach wenigen Metern ist klar, dass Jeanette mit ihrer Stadt innig verbunden ist. Ihre Leidenschaft, mit der sie über Detroit erzählt, ist authentisch. So wundert es mich nicht, dass sie hier bekannt ist wie ein bunter Hund. Oft bleiben wir kurz stehen weil ‚wir‘ jemanden treffen, den sie kennt oder anderen den Weg weist. Was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass von den ehemals 1,8 Millionen Einwohnern der Stadt nur gut 700.000 geblieben sind.
Hatte ich geglaubt, wir würde die Stadtbesichtigung mit dem Wagen bewältigen – typisch amerikanisch eben – schlägt Jeanette vor, zuerst zu Fuß zu gehen. Denn Downtown ist mini. Hier benötigt man keinen Wagen. Prinzipiell besteht Downtown Detroit aus einem zentralen Platz, den die Detroiter recht euphemistisch ‚Park‘ nennen und 5 darauf zu laufenden Straßen. In eben jenem ‚Park‘, erzählt uns Jeanette, habe sie geheiratet und dazu die ganze Stadt eingeladen – per Facebook Veranstlatung und Inserat in der Zeitung! Das muss war ein rauschendes Fest gewesen sein!
Nur den sogenannten Park hatte ich mir anders vorgestellt. Mit Grünfächen und großen Bäumen eventuell. Stattdessen handelte es sich um eine betonierte Fläche, auf der zwar vereinzelte Bäume standen, aber mitnichten Wiese zu sehen war. Im Winter kann man hier Eislaufen, im Sommer im aufgeschüttetetn Sand in einer Beachbar sitzen. Aber: Detroit hat aus der vormals nutzlosen Fläche einen Versammlungsplatz geschaffen.
Laut Jeanette sind in Downtown Detroit mittlerweile wieder 99.4 % der Gebäude vermietet. Sie zeigt auf Häuser, die im Laufe der letzten Zeit einen Käufer gefunden haben, gerade umgebaut werden oder vor kurzem saniert worden sind. Die Quadratmeterpreise seien, im Vergleich zu anderen nordamerikanischen Städten, spottbillig.
Vor allem Kreative und Künstler würden wieder nach Detroit zurückkehren, sich die günstigen Mieten zunutze machen und eine neue Existenz aufzubauen. So finden sich in der Stadt sehr viele kleine, individuelle Geschäfte, die eigenproduzierte Waren verkaufen oder sich mit einer guten Idee durchboxen. Wie zum Beispiel die Marke Shinola, unter der sehr feine und hochwertige sowie individuelle Uhren und Fahrräder hergestellt werden.
Überhaupt tragen die vielen kleinen Geschäfte und Restaurants dazu bei, Detroit wieder ein Gesicht zu geben. In meinen zwei Tagen in der Stadt habe ich weder eine Shoppingmall gesehen noch ein typisches Fastfood Restaurant. Dafür in einem herrlich gemütlichen Laden, dem Traffic Jam & Snug, zum ersten Mal in meinem Leben frittierte Gurken gegessen! Klingt komisch? Schmeckt göttlich!
Ein Name, der im Zusammehang mit dem Aufschwung in Downtown immer wieder fällt ist Dan Gilbert. Ein Businessmann, der es sich zur Aufgabe machte, die City wieder zu revitalisieren. Er verlegte das Headquarter seinder Immobilienfirma „Quicken Loanes“ mitsamt 1700 Angestellten ins Herz von Detroit, kaufte nach und nach insgesamt 30 weitere Gebäude mit insgesamt 7,6 Millionen Quadratmetern Fläche und schuf so tausende Jobs!
Während im Netz oft zu lesen ist, dass ganze Straßenzüge in Downtown leer stehen, kann ich das so nicht bestätigen. Meiner Meinung nach wirkt Downtown recht belebt, wenn es auch ruhiger sein mag als in anderen Städten. Wenn man allerdings bedenkt, dass wenige Meter nebenan mit der NAIAS die größte Automesse Nordamerikas stattfand, hätte das Tohuwabohu wohl auch größe sein können. Ganz anders sieht es natürlich ein paar Meter außerhalb des Stadtzentrums aus, dazu aber die Tage mehr.
Wir sehen uns imposante Gemäuer an wie das Guardian Building – The Cathedral of Finance (und WOW! das ist nicht übertrieben!), beobachten einen Polizeikonvoi, der eine noch getarnte Corvette zur Cobo Hall bringt und fahren dann schliesslich mit dem Wagen runter zum Detroit River, der die natürliche Grenze zum benachbarten Kanada bildet. Bis vor kurzem war er komplett zugefroren und auch jetzt schwimmen noch dicke Eisschollen am Ufer.
Was das Wetter angeht, hatten wir großes Glück: den dicken Schneesturm verpassten wir, stattdessen erwartete uns in Detroit meist blauer Himmel und Sonne. Klirrend kalt war es dennoch.
„In Detroit finden manchmal die vier Jahreszeiten in einer Woche statt. Manchmal sogar an nur einem Tag“ sagt Jeanette.
In Downtown hatte ich zu keiner Sekunde ein komisches oder ungutes Gefühl. Ich fühlte mich sicher und bekam recht schnell ein Feeling für die Stadt. War aber auch hauptsächlich tagsüber unterwegs. Auf meine Frage hin, ob Jeanette Detroit als ‚gefährlich‘ einstufen würden, erwidert sie:
„In Downtown ist es nicht gefährlicher als in anderen Städten auch. Wichtig ist, wachsam zu sein.“
Ich bin auch überzeugt, dass das für die echte Innenstadt zutrifft. Dass es sich aber außerhalb von Downtown anders verhält, sollte ich am nächsten Tag lernen… Was mir aber auffällt ist, wie interessiert die Detroiter sind, mit den gängisten Klischees aufzuräumen und wie neugierig sie sind, unsere Meinung über ihre Stadt zu hören, die so sehr bemüht ist, aus ihrem Molochmonopol herauszukommen.
Dank der sozialen Netzwerke wie Instagram, Twitter und Facebook blieb unsere Stadttour nicht lange unentdeckt. Yvonne bekam eine Email des lokalen Wetter-TVs, das eines ihrer Instagram Fotos ausstrahlen wollte, ich bekam eine Mail mit der Anfrage eines Journalisten der Detroit News, der mich bat ihn doch anzurufen. Er sei sehr interessiert an meinem ersten Eindruck über die Stadt. Und so fand ich mich schon am Tag drauf in der Oline Ausgabe der Detroit News wieder. Wenn auch etwas frei zitiert. Und auch bevor ich die Vororte besucht hatte…
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Mercedes-Benz hat mich auf den Roadtrip und die Reise nach Detroit eingeladen. Vielen Dank auch an Pure Michigan, DHive Detroit und Visit Detroit für die Unterstützung vor Ort!
Das klingt in der Tat anders als man es so hört doer liest. Leider kommen wir bei unserem nächsten USA-Trip nur in den Südwesten, sonst hätten wir da sicher auch mal mit den Vorurteilen aufgeräumt.
@Torsten – Detroit hat mich begeistert, aber auch zusammenzucken lassen. Der Artikel bezieht sich wirklich nur auf Downtown selbst, die Tage folgt ein zweiter. Warte den noch ab. 😀 Wann startet euer Trip und wo gehts hin?
Tagsüber ist Downtown Detroit absolut sicher. Die Ecken, die man tagsüber meiden sollte sind West Chicago und Livernois Avenue auf der West Side und Mack Avenue/Helen Street. Dort kommt es öfters zu Schießereien und Raubüberfällen. Im Westin Book Cadillac habe ich auch mehrmals gewohnt. Gemütlicher ist „The Inn on Ferry Street“, das aus mehreren viktorianischen Gebäuden besteht, nicht weit vom DIA, das immer meine erste Anlaufstelle in Detroit ist, da ich mir jedes Mal das Diego Rivera Wandgemälde ansehe. Es ist gigantisch.
@Cornelia – Danke für den Hotel-Tipp, wobei das Westin Book Cadillac defintiv nicht zu der Kategorie Hotel gehört, das ich mir leiste(n könnte), wenn ich auf eigene Faust unterwegs bin…
Ehrlich gesagt hat jede größere Stadt seine gefährlichen Ecken. Ich würde dir auch nicht empfehlen, nachts in Hamburg in Kirchdorf-Süd oder Billbrook unterwegs zu sein.
Ich kenne aber auch viele Vorher-Nachher-Fotos von Boston.com. Der Vergleich war dann schon echt dramatisch, was für tolle große Gebäude verkommen sind in Detroit.
Und nein, die Innenstadt versucht jeder zu retten, bin also auf den zweiten Tag gespannt.
@Marcel – Warst du einmal in Detroit? Und nein, Detroit ist nicht vergleichbar mit Hamburg, Köln oder London. Detroit macht einfach sein eigenes Ding, auch was den Gänsehautfaktor angeht… Teil 2 ist übrigens online, Teil 3 folgt. 😀
ich hab vor einiger Zeit einige(eigentlich zuviele) Monate in Detroit gearbeitet..gut ich gebe zu..oben in Auburn Hills (wo die Headquarters stehen) war es echt safe..downtown hatte ich allerdings auch die ein oder andere „Begegnung“ Vorsicht ist auf jeden Fall angebracht..während der DMS tickt die Stadt eh ein bisschen anders..aber grundsätzlich gilt immer Wachsam sein..außerhalb ist auch noch ne andere Nummer… trotzdem hab ich mich riesig gefreut auf diesen Artikel..Detroit hat auch seine charming ecken..und einige saucoole Clubs…allerdings entdeckt man die als Tourist wohl viel zu spät..erst nach ca. 6 Monaten habe ich gelernt einige Ecken dieser Stadt sehr zu schätzen…dort arbeiten würde ich allerdings nicht mehr wollen..die Winter sind auch echt lang und kalt und Malls gibt es aber jede Menge…und Outlet Center und und und..nur halt nicht Downtown…:) glg emma
@Emma – Hallo Emma, vielen Dank für deinen Kommentar! Wie spannend! Dass sich die Stadt zur NAIAS noch einmal komplett anders verhält, das erschien mir auch logisch. Weswegen ich mir einen heren Plan in den Kopf gesetzt habe. Ich würde dich daher gern einmal per Mail kontaktieren wenn es dir recht ist…
Boah, Heike 🙂 Jetzt steht in einer Lokalzeitung, dass du Detroit schon für tot erklärt hast. So wie ich amerikanische Lokalsender kenne, dürfte das die Headline für den gesamten Tag gewesen sein. 😀
Ich habe im Wikipedia-Artikel neben den üblichen Klischees auch noch gelesen, dass es eine sehr starke Trennung zwischen verschieden Bevölkerungsgruppen geben soll. Teilweise soll es richtige „Grenzstraßen“ á la „8 mile“ geben. Hast du davon was mitbekommen?
LG Phil
@Phil – 8 Mile Road habe ich komplett ausgelassen. (Eminems Haus ist abgebrannt) Wirklich mitbekommen habe ich es nicht. Nicht so, dass ich dazu jetzt etwas schlaues sagen könnte, nein…
[…] Teil 1: Die zwei Gesichter der Motor City – Downtown Detroit […]
@Heike…ja klar..kannst mir jederzeit eine Email schicken…glg emma
Hallo Heike,
nein, ich war noch nie in Detroit. Ich wahr ehrlicherweise noch nie in den Staaten. Das wird alles sicherlich „etwas“ anders von den Dimensionen sein und ja, Detroit ist sicherlich auch ganz anders als Hamburg, Köln whatever. Und wie gesagt, ich habe einige Bilder aus Detroit gesehen, da würde ich auch sehr vorsichtig sein in einigen Ecken. USA ist halt grundsätzlich schon mal ganz anders und Detroit mit Sicherheit noch mal eine Ecke anders. Wenn man sich nur mal den Werdegang der Stadt und der Bewohner vor Aufen hält.
Teil 2 ist super aber WO BLEIBT TEIL 3? ICH WILL WEITERLESEN!!! : -) *aufregung*
[…] Zuerst die vorausgegangenen Artikel Die zwei Gesichter der Motor City – Downtown Detroit und Die zwei Gesichter der Motor City – unterwegs in den Suburbs […]
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ich kann mir Detroit sowohl im sommer als auch im winter fantastisch vorstellen! die bilder haben mich beeindruckt, die konmmentare auch. danke!